Marcel Germann

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Webcam-Erfahrungen

Nun ist es schon eine ganze Weile her seit ich dieses kleine Gadget gekauft habe. Es ist mittlerweile schon zum gewöhnlichen Einrichtungsgegenstand in meinem Zimmer herabgestuft worden. Aber ich glaube trotzdem hat es mir ein paar interessante Gedanken geschenkt, die ich hier gerne schildern möchte.

Diesen Sommer habe ich mich dafür entschieden eine neue Digitalkamera zu kaufen und wurde auch schon bald fündig: etwas extrem billiges, so dass man es problemlos und ohne Angst zu haben auch in den Urlaub oder sonstwo hin mitnehmen kann. Qualität: schlecht, aber das war mir egal. Doch siehe da: das Ding funktionniert auch als Webcam.

Erster Tag: Angeschlossen am PC, entsprechende Programme heruntergeladen und installiert, ein kleines Java-Script für den automatischen Reload und los kann es gehen. Es funktionniert und gleich werden die ersten Mitkämpfer im Cyber-Zeitalter via ICQ benachrichtigt. Man amüsiert sich, macht komische Grimassen und - siehe da - räumt endlich das Zimmer auf.

Folgende Tage: Kollegen, die auch ADSL oder sonst einen stetigen und schnellen Internetzugang haben, fordern mich auf, dies oder das zu tun, weil ihnen das eintönige Bild von mir zu langweilig wird. Die Kamera soll hierhin oder dorthin, ich soll etwas machen etc. etc. Langsam habe ich auch selber das Gefühl, ein Entertainer sein zu müssen. Ich kann ja nicht einfach so dasitzen und Lesen oder Schreiben. Ein USB-Verlängerungskabel muss her, damit ich die Kamera aufs Büchergestell positionieren kann.

Böse Sprüche gab es komischerweise fast keine. Ich hätte diese eigentlich erwartet, denn ich dachte mir, dass doch sicher so einige Mühe hatten mit einem kleinen Big-Brother-Imitator wie mir. Ich hatte mir auch schon die Antworten zurechtgelegt: z.B. dass nicht ich, sondern diejenigen, die einem Studenten beim Lernen(!) zusehen eigentlich die abnormalen sind. Doch nichts dergleichen kam. Im Gegenteil: man forderte mich auf, das Ding öfters laufen zu lassen oder doch besser in den Raum meiner Mitbewohnerin zu stellen (letzteres kam lediglich von männlichen Kritikern). Ich liess die Kamera brav in meinem Zimmer und schaltete sie nur dann ein, wenn nichts "privates" lief - ganz einfach.

Ich selber mache mir nichts aus den unzähligen Big-Brother-Sendungen und ähnliches, nicht nur, weil ich glaube, dass das meiste davon gestellt ist, sondern auch, weil ich mich einfach nicht dafür interessiere. Zum Glück ist das auch umgekehrt so, denn die einzigen, die mein Webcam-Icon anklicken sind Freunde, Verwandte und Bekannte, und es ist doch viel lustiger, wenn man neben ICQ oder Telefonat noch gleichzeitig den Gesichtsausdruck des Gegenübers sehen kann (bzw. weiss, dass das Gegenüber einen selber sieht). Ich habe keine Ahnung, ob eines Tages das Videofon das Telefon ablösen wird, aber ich würde es begrüssen.

Ich weiss nicht, wie lange ich dieses psychologische selbst-Experiment noch fortsetzen werde. Eigentlich ist es mir egal, denn mein Privatleben wird ja immer schön mit "sorry, offline at the moment" ausgeblendet. Mit der Zeit vergisst man das "Entertainen". Die Angst, sich im eigenen Schneckenhaus - dem hoch-heiligen eigenen Zimmer in einer WG - beobachtet und deshalb unwohl zu fühlen hat sich nicht bestätigt. Aber eine interessante Erfahrung ist es sicher.

Masi, 01.12.2002